Bist auch du manchmal ein sprechender Elternautomat?
„Wie sagt man?“, „Gib der Oma ein Bussi“, „Es ist zu deinem Besten“, „Ich zähle bis drei“, „Es ist ja nix passiert“ (wenn Kinder zB fallen), „Kannst du nicht hören?“, „Du musst lernen zu folgen“…
Kennst du diese Sätze. Hast du solche Sätze auch schon mal zu deinem Kind gesagt? Dann war wohl der sprechende Elternautomat am Werk.
Hirn aus, Mund an
Alle Eltern kennen das – der Kopf ist ganz woanders, aber der Mund redet fröhlich weiter. Das passiert, weil wir eigentlich überlastet sind, weil wir vielleicht gerade durch eine Situation besonders gefordert werden oder weil wir müde und nicht mehr bei der Sache sind. Und was da dann aus unserem Mund rauskommt sind meist Sätze, die wir selbst als Kinder oft gehört haben. Oft wollen wir diese Sätze gar nicht sagen, wenn wir genauer darüber nachdenken, aber wenn der Kopf eigentlich schon wegen Überfüllung geschlossen hat, purzeln sie aus unserem Mund.
Manche dieser Sätze sind gedankenlos, aber nicht weiter schlimm. Unsere Kinder lernen auch sehr schnell sie zu überhören, weil sie auch mitbekommen, dass wir gerade geistig abwesend sind. Meine Kinder zum Beispiel können mein generisches „ja“, wenn sie mir eine Frage stellen, ich gerade aber mit etwas anderem beschäftigt bin, schon von einem echten Ja unterscheiden. Sie sagen dann: „Mama, jetzt hast du gar nicht zugehört“. Und sie haben recht. Ertappt.
Manche der Sätze, die aber da so aus einem sprechenden Elternautomaten rauspurzeln sind eigentlich grenzwertig. Sehen wir sie uns mal an:
„Gib der Oma / Tante / wemauchimmer einen Kuss“
Warum sagt man so etwas zu seinem Kind? Um der dritten Person, die geküsst werden soll, zu gefallen. Ich selbst, habe es immer gehasst, irgendwelche Tanten zu küssen, die mich überhaupt nicht berührt haben, manche hab ich überhaupt nur ein Mail im Jahr gesehen.
Nein, dein Kind muss niemanden auf Befehl küssen. Ein Kuss kommt von Herzen oder nicht. Kommt er von Herzen, braucht es keine Aufforderung.
„Es ist zu deinem Besten“
Und das weiß ich besser als du. Wenn man sich diesen Satz mal in dem Verhältnis von Ehepartnern zueinander ansieht, spürt man sofort, wie übergriffig dieser Satz ist: Ich weiß besser, was für dich gut ist als du. Klar, so ein Satz sagt sich schnell, wenn Kind sich zB wetteradäquat anziehen soll. Am Ende ist er aber übergriffig. Genauso könnte man zwei Sätze mehr investieren und dem Kind erklären: Weißt du, heute ist es ziemlich kalt. Ich möchte nicht, dass du dich verkühlst, darum möchte ich gern, dass Du …. anziehst.
„Ich zähle bis drei“
Ich gestehe… wenn die Nerven blank liegen, dann treten solche Sätze zutage. Was mich immer verblüfft hat: Es funktioniert. Auch wenn nach drei gar nichts passiert.
Fakt ist, dass dieser Satz aber eigentlich eine Gewaltandrohung darstellt: Es wird ein ungewisses, unangenehmse Erlebnis in den Raum gestellt, und das Kind reagiert auf diese unbestimmte Drohung. So besehen, ist das oft gehörte „ich zähle“ schon sehr zweifelhaft.
„Es ist ja nix passiert“
Reflexartig sagen wir sowas, wenn unsere Kinder kleinere Missgeschicke oder Unfälle haben und weinend am Boden sitzen.
Aber eigentlich ist etwas passiert, denn umsonst weint dein Kind ja nicht. Ich musste mir das auch erst bewusst machen – viel zu oft hatte ich diesen Satz schon gehört. Aber hinterfragt man ihn, kommt man schnell zu besseren Reaktionen, zB „Oje, du bist gestürzt! Tut es sehr weh? Komm, ich helfe dir.“ Meist führt so eine Reaktion auch viel schneller dazu, dass dein Kind sich beruhigt.
„Du musst lernen zu folgen“
Was für ein schrecklicher Satz! Folgen. Dem Befehl folgen. Wie kleine Soldaten.
Tatsächlich haben Erziehungsratschläge, die Eltern gegeben wurden (und werden) oft auch politische Untertöne. Und dieser hat es ganz besonders. Kinder, die nicht hinterfragen sondern brav folgen. Möglichst ohne selbst zu denken.
Traurig oder?
Die Liste an Sätzen von sprechenden Elternautomaten ist endlos. Sagt man sie selbst, fallen sie einem leider oft nicht auf. Aber wenn ich zB im Bus fahre und Eltern zuhöre, dann werden sie mir gleich bewusst. Wenn Mütter sich darüber unterhalten: „Zuerst hat er ewig lang nichts gesagt und jetzt hört er nicht mehr auf zu reden. Wenn der nur mal 10 Minuten den Mund halten würde.“ Von außen fällt es uns gleich auf, wie beleidigend solche Äußerungen und das „Besprechen“ eines anwesenden Menschen eigentlich sind.
Eine Entschuldigung ist immer drin
Die gute Nachricht ist: Wird dir bewusst, dass du gerade geredet hast ohne zu denken und dass das, was da aus deinem Mund gekommen ist, eigentlich gar nicht gut war, hast du immer die Möglichkeit, das anzusprechen. Rede mit deinem Kind. Gib zu, dass du jetzt gar nicht so genau nachgedacht hast, was du da gesagt hast und dass das Sätze sind, die du selbst als Kind so oft gehört hast.
Sag deinem Kind, dass du den Satz eigentlich gar nicht gut findest und dass es dir leid tut. Unsere Kinder sind großzügig und sie schätzen es, wenn wir uns nicht zu groß sind, um uns auch mal bei ihnen zu entschuldigen.
Kinder kooperieren
Wie Jesper Juul auch in seinem Buch „Dein kompetentes Kind“ schreibt, ist der Preis für respektvolles, fürsorgliches Handeln der, dass auch deine Kinder mit dir respektvoll und fürsorglich umgehen werden. Weil Kinder durch unser Vorbild lernen – im Guten, wie leider auch im Schlechten.
Generell: Starke Lese-Empfehlung für Juuls kompetentes Kind!
Foto von Markus Spiske auf Unsplash